Nach dem Brodeln in den letzten Wochen folgte am Freitag der Vulkan-Ausbruch beim FC Bayern! Die Münchner haben sich mit sofortiger Wirkung von Julian Nagelsmann getrennt. Mit dieser Entscheidung folgt gleichzeitig aber auch ein bitteres Eingeständnis: Trainer können beim deutschen Rekordmeister keine Ära mehr prägen! Ein Kommentar von FCBinside-Redakteur Jonas Gerhartz.
In den letzten Wochen wurde die Führungsetage beim FC Bayern nicht müde, immer wieder zu betonen, dass Bayern-Coach Julian Nagelsmann „fest im Sattel“ säße. Zuletzt unterstrich auch Präsident Herbert Hainer diese Ansicht im Interview mit dem „kicker“. So sei Nagelsmann laut Hainer ein Top-Trainer, der gegen Paris bewiesen habe, dass er auf höchstem europäischen Niveau taktisch und strategisch hervorragend sei. Auch wenn Nagelsmann in den letzten Wochen mit Leistungsschwankungen zu kämpfen hatte, stärkte auch Hainer dem 35-Jährigen den Rücken und verwies auf die lange Vertragslaufzeit: „Das haben wir mit einem Fünfjahresvertrag dokumentiert, weil wir mit ihm etwas aufbauen wollen. Man sieht in diesen anderthalb Jahren einen deutlichen Fortschritt.“
Allerdings scheint die von Hainer angesprochene Entwicklung nicht ausgereicht zu haben, da nur wenige Tage nach seinem Interview die Freistellung für Nagelsmann folgte. Mit dieser Trainer-Entlassung muss sich die ganze Führungsetage beim FC Bayern eingestehen, dass das Langzeitprojekt „Nagelsmann“ fatal gescheitert ist.
Beim FC Bayern musst du sofort liefern
Wie Hainer ebenfalls zu verstehen gab, handelte es sich bei Nagelsmann um ein Langzeitprojekt. Man wollte nach Ancelotti, Heynckes, Kovac und Flick endlich wieder Konstanz auf der eigenen Trainerbank haben. Mit Nagelsmann schienen die Münchner im Sommer 2021 den idealen Coach für eine neue Ära gefunden zu haben. So ist Nagelsmann selbst Bayer, schon seit Kindheitstagen Fan des deutschen Rekordmeisters und zählt trotz seines jungen Alters zu den besten Taktikern in Europa.
Für Nagelsmann waren die Bayern sogar bereit, tief in die eigene Tasche zu greifen und eine Ablöse von ca. 20 Millionen Euro an den Konkurrenten RB Leipzig zu zahlen. Zudem setzen die Münchner mit einem Fünfjahresvertrag bis 2026 ein weiteres Zeichen, dass es sich bei Nagelsmann um ein langfristiges Projekt handelt, bei dem es auch mal „schlechtere Phasen“ geben kann. Allerdings ist bereits nach 1,5 Jahren dieses Kapitel „Nagelsmann“ beim FC Bayern schon wieder zu Ende.
Frage: Um ein millionenschweres Projekt so überraschend über Bord zu werfen, muss doch aber FCB-intern was vorgefallen sein? Das scheint jedoch für den Moment aber nicht der Fall zu sein. So führten nach „Sky“-Informationen nämlich nicht private, sondern sportliche Gründe zum Nagelsmann-Aus. Heißt im Umkehrschluss: Wenn es um Titel geht, spielt die Entwicklungszeit eines Trainers keine Rolle mehr. So musst du als Bayern-Coach immer sofort liefern, was gleichzeitig bedeutet, dass langfristige Trainer-Engagements beim deutschen Rekordmeister heutzutage fast unmöglich sind.
Nagelsmann-Freistellung war nicht Bayern-Like
So überraschend die Meldung über die Nagelsmann-Freistellung für Spieler und Bayern-Fans kam, wurde auch der 35-Jährige selbst von dieser Entscheidung überrumpelt. Laut dem italienischen Transfer-Insider Fabrizio Romano hat Nagelsmann von seiner eigenen Freistellung auch erst über die Medien erfahren. So habe es am späten Donnerstagabend keinen direkten Austausch zwischen dem FC Bayern und dem Nagelsmann-Lager gegeben.
Allerdings scheinen die FCB-Bosse schon länger über eine Entlassung nachgedacht zu haben. Denn mit Thomas Tuchel haben die Münchner direkt einen Nachfolger für Nagelsmann gefunden. Daraus lässt sich schließen, dass sich die Führungsetage schon seit längerer Zeit in einem direkten Austausch mit Tuchel befand, der bereits auch schon in München wohnt.
Nach den bisher geschilderten Hintergründen entsteht das unschöne Bild, dass die FCB-Bosse Nagelsmann öffentlich den Rücken gestärkt haben, aber hinter den Kulissen bereits an der Freistellung gearbeitet wurde. Diese Tatsache plus die ausbleibende Kommunikation zu Nagelsmann ist nicht „Bayern-Like“ und widerspricht dem gelebten familiären „Mia San Mia“-Kodex.
Ist Tuchel die richtige Wahl?
Thomas Tuchel hat einen Vertrag bis 2025 beim FCB erhalten und wird bereits am Montag das Training an der Säbener Straße übernehmen. So bleibt dem 49-Jährigen nur wenige Trainingseinheiten, bevor die „Wochen der Wahrheit“ anstehen. Mit acht Pflichtspielen im April geht es in allen drei Wettbewerben um Titel. Heißt: Spiele, die man unbedingt gewinnen muss, um die Saisonziele nicht zu gefährden. Allein in den ersten beiden Spielen ist Tuchel zum Siegen verdammt, da zunächst das Gipfeltreffen im Meisterschaftskampf gegen Dortmund ansteht und am 4. April das DFB-Pokal-Viertelfinale gegen den SC Freiburg folgt.
Bei zwei möglichen Niederlagen hätte der FC Bayern mit Meisterschaft und Pokal so gut wie zwei der drei Titel schon verspielt. Dann dürfte der jetzt schon große Aufschrei von Seiten der Fans noch größer werden und nicht nur Tuchel, sondern auch Salihamidzic & Co. müssten Antworten liefern.
Doch wenn einer diese sehr anspruchsvolle Aufgabe übernehmen kann, dann ist das Thomas Tuchel. So hat dieser bei seiner letzten Station FC Chelsea einen eindrucksvollen Turnaround geschafft und die Blues zum Champions-League-Titel geführt. Dennoch bleibt ein gewisses Restrisiko, dass das Projekt „Tuchel“ bei einem Fehlstart schon erste Dellen bekommen könnte.